RILKE ALS SLOW FOOD FÜR’s OHR
Der Wiener Komponist Richard Schönherz entdeckte Rilkes Wortgewalt schon Mitte der 90er Jahre in Kalifornien. Dahin war er ausgewandert im zarten Alter von 19 Jahren, die Atmosphäre und Leichtigkeit hatte ihn angezogen, der kalifornische Traum durfte nicht nur geträumt werden. Gerade kam die New Age Musik auf und Schönherz stürzte sich hinein in dieses Genre, komponierte, spielte Orgel, Synthesizer, alles was Tasten hatte.Und stolperte über ein Rilke-Gedicht in einer Lokalzeitung, wohlgemerkt in englischer Sprache. Der Dichter war damals in Amerika sehr beliebt. Der Text berührte ihn: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.“
Er klebte den Ausschnitt auf sein Keyboard. Dort hing es lange Zeit, bis die Musikerin Angelika Fleer es entdeckte und die Initialzündung gab, daraus doch etwas zu machen. Angelika hatte in Frankfurt schon in Frauenbands gespielt und war mit Wolfgang Niedecken der Rockgruppe BAP auf Tour gegangen. Bei einem Kurzurlaub in Deutschland entdeckte Schönherz ihr Instrumental-Album und lud sie nach Kalifornien ein.
Musik aus dem Wort geboren
Beide kommen von der Klassik, spielen Klavier, wollten aber auch die Sprache in ihre Musik einbringen. Das Rilke-Gedicht auf dem Keyboard war der Beginn einer bis heute andauernden Zusammenarbeit, die gemeinsame Liebe zu Musik und Literatur brachte sie auch privat zusammen. Damals entwickelte sich die Idee, verschiedene Interpreten Gedichte sprechen zu lassen und dabei mit eigenen Musik-Kompositionen zu begleiten.
Schauspieler und Musiker wurden angefragt, alle waren begeistert. Nina Hagen war eine der ersten, mit der sie probten, Mario Adorf und Montserrat Caballé folgten. 2001 erschien die erste CD mit Gedichten von Hesse. Weitere Tonträger kamen hinzu. Eine besonders beeindruckende Zusammenarbeit gab es mit Sir Peter Ustinov. Sie produzierten mit ihm einen Take in seinem Haus in den Weinbergen am Genfer See. Als alles „im Kasten“ war, saßen sie noch drei Stunden mit ihm zusammen. Die Aufnahmen mit ihm sind fast ein Vermächtnis, denn drei Monate später starb Ustinov.
Eine Wunschkandidatin war auch Caterina Valente, ihr Management sagte zunächst ab, sie wolle nichts mehr machen. Als sie sich aber näher mit dem Projekt und den Gedichten beschäftigte, sagte sie zu. Man reiste zu ihr nach Lugano.
Dir zur Feier
Exakt zum 140igsten Rilke Geburtstag brachten Schönherz & Fleer am 4. Dezember 2015 ein großes Event auf die Bühne. In der Alten Oper zu Frankfurt inszenierten sie das Symphonic Rilke Projekt – Dir zur Feier als Hommage an den großen Dichter. Bekannte Schauspieler und Sänger mit unverwechselbare Stimmen wie Ben Becker, Hannelore Elsner, Nina Hoger oder Xavier Naidoo traten auf und interpretierten jeder auf seine ganz eigene Art und Weise die vertonten Gedichte.
Zum Reinhören
Begleitet wurden sie vom Orchester der Frankfurter Philharmonie unter der Leitung von Christian Kolonovits. Auch ihn konnten die beiden Musiker sofort für das Projekt begeistern. Nach einem gemeinsamen Nachmittag in Wien, wo sie sich gemeinsam die Vertonungen anhörten, sagte er sofort zu.
Seine Stellungnahme: „Wenn die Dichtung durch Musik erhöht wird, dann ist das für mich das Optimum an Kunsterlebnis. Das Libretto ist wie Neumond. Durch die Vereinigung von Dichtung und Musik entsteht Vollmond. Insofern finde ich es toll, dass man bei diesem Projekt so hoch greift und diesen wunderbaren Dichter nimmt und erhöht.“ Das Ergebnis ist nun hörbar, fühlbar und sichtbar. Purzel Klingohr wird aus den Aufnahmen der Veranstaltung einen Film schneiden.
Nachgefragt
Richard, wie kommen die Kompositionen zustande? Liest Du erst ein Gedicht und dazu fällt Dir die Melodie ein oder schreibst Du eine Melodie und suchst ein Gedicht danach aus?
Richard Schönherz: Ich lese das Gedicht und überlege, welche Musik passt. zum Beispiel bei Das Karussel, da muss ein Akkordeon dazu. Das Gedicht Ist es möglich hat wiederum solch einen aktuellen Inhalt, dass ich es sehr modern und heutig arrangiere.
Nach welchen Kriterien suchst Du die Stimmen aus?
Richard Schönherz: Reines Bauchgefühl. Mir ist eine Mischung wichtig, sie sollen sich voneinander unterscheiden. Wir haben zum Beispiel mit Oskar Werner und Rudolph Mooshammer gearbeitet, das sind wirklich zwei ganz konträre Persönlichkeiten!
Wie lange kennst Du Christian Kolonovits und wo habt Ihr Euch kennengelernt?
Richard Schönherz: Das ist verdammt lange her! Es war 1971 beim Eurovision-Songcontest in Edinburgh. Ich schrieb die Musik für das Lied Falter im Wind. Gesungen hat es die Band Milestone, Christian saß am Klavier. Immerhin belegten wir den 5. Platz! Unsere Freundschaft und Zusammenarbeit währt bis heute.
Christian, welche Projekte liegen bei Dir an?
Christian Kolonovits: Ich schreibe an einer BaRock-Oper für die Volksoper. Sie heißt Die 5. Jahreszeit und ist sehr „vivaldisch“. Premiere ist im Juni 2017. Meine aktuelle Oper El Juez wurde zum Ende der Festwochen aufgeführt. Die Uraufführung war in Bilbao vor zwei Jahren, José Carreras sang den Richter. In die Musik und die Texte muss man sich fallen lassen, das ist nicht leicht, in dieser reizüberfluteten Welt dabeizubleiben und zuzuhören.
Wer ist Eure Zielgruppe?
Richard Schönherz: Leute, die diese Fähigkeit noch nicht verloren haben, die in die Tiefe gehen wollen, an Literatur interessiert sind. Auch Leute, die Hörbücher mögen. Es ist Slow Food fürs Ohr, für die Seele!
CD/DVD mit Stücken aus der Frankfurter Veranstaltung: Symphonic Rilke Projekt – DIR ZUR FEIER
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